Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU: Bildung und Forschung zentrale Säulen
30. September 2024
Der Bericht, den Ursula von der Leyen in ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union 2023 angekündigt hatte, weist zahlreiche Überschneidungen mit den politischen Leitlinien auf, die von der Leyen dem Parlament vor ihrer Wiederwahl zur Kommissionspräsidentin für die nächsten fünf Jahre vorgestellt hatte (Link).
Bestandteile des Berichts und Kernaussagen
Das zweiteilige Dokument „The future of European competitiveness“ umfasst einen 65-seitigen ersten Teil mit einer Beschreibung der Ausgangssituation und der Kernelemente der Strategie, sowie einen 328-seitigen Teil B mit einer vertieften Analyse sowie Empfehlungen (Link zur Kommissionsseite).
Zur Steigerung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der EU angesichts radikaler Transformationsprozesse, schlägt Draghi in seinem Bericht eine neue industrielle Strategie für Europa vor, die sich auf drei Aktionsbereichen zur Förderung des nachhaltigen Wachstums stützt:
- konzertierte Anstrengungen zur Schließung der Innovationslücke
- einen gemeinsamen Plan für die Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit sowie
- den Aufbau einer unabhängigen Verteidigungsindustrie.
Als wesentliche Triebkraft für die Wettbewerbsfähigkeit der EU, führt der Bericht zehn sektorale sowie fünf horizontale Politikbereiche auf, die sich auf (i) die Beschleunigung der Innovation, (ii) die Schließung der Qualifikationslücke, auf (iii) nachhaltige Investitionen, (iv) die Neuausrichtung des Wettbewerbs sowie (v) die Stärkung der Governance beziehen.
Maßnahmen im Forschungsbereich
Im Rahmen des horizontalen Politikbereichs „Beschleunigung der Innovation“, plädiert der Bericht dafür, Forschung und Innovation in den Mittelpunkt der strategischen Prioritäten der EU zu rücken.
Damit die EU wieder wettbewerbsfähig wird, ist laut Draghi ein verbesserter Finanzrahmen für bahnbrechende Innovationen, Start-ups und Scale-ups und die Entwicklung eines vereinfachten, zugänglicheren und wirkungsvolleren 10. EU-Forschungs- und Innovationsrahmenprogramms erforderlich. Das soll durch eine Verdopplung des Programmbudgets verglichen mit Horizont Europa erreicht werden, auch für den ERC. Dieser soll auf Institutionen ausgedehnt werden, um Exzellenz und Forschung in Institutionen zu fördern, auch durch Nutzung der Europäischen Hochschulallianzen. Das Programm soll ferner reformiert werden durch eine reduzierte Anzahl an Förderprioritäten, einen erhöhten Budgetanteil für bahnbrechende Innovationen, die Umgestaltung des EIC zu einer ARPA-ähnlichen Agentur (nach dem Vorbild der amerikanischen Innovationsagentur, die high-risk-high-reward Projekte fördert), eine Effizienzsteigerung der Antragsverfahren sowie die Einführung von Exzellenz als alleiniges Förderkriterium.
Angesichts einer „zersplitterten EU-Forschungslandschaft“ plädiert der Bericht ferner für eine abgestimmte Strategie und Koordination zwischen den Mitgliedstaaten und eine bessere Steuerung der öffentlichen Forschungs- und Innovationsausgaben, mit dem Ziel, eine Forschungs- und Innovations-Union aufzubauen. Diese soll durch einen Europäischen Forschungs- und Aktionsplan umgesetzt werden, ergänzt durch nationale Aktionspläne, deren Unterstützung durch die EU von der Einhaltung der Verpflichtungen, mindestens 3 % des BIPs an F&E-Ausgaben zu erreichen, abhängig gemacht werden soll. Ferner sieht der Bericht die Schaffung von “EU Chairs” für Top-Forschende/Professorinnen und Professoren vor, die formal als Europäische Beamtinnen und Beamte angestellt werden und Institutionen aktiv mitgestalten und sich frei an europäischen Hochschulen bewegen sollen können. Ferner soll die Mobilität von Forschenden durch die Erweiterung von Erasmus+ auf Forschende ermöglicht werden, durch die Förderung von Lehr- oder Forschungsaufenthalten an Hochschuleinrichtungen und F&T-Organisationen in einem anderen Land.
Maßnahmen im Bildungsbereich
Ohne eine ehrgeizige, aber pragmatische Qualifikationspolitik wird die EU laut Draghi nicht in der Lage sein, die erörterten Ziele wirksam und angemessen zu erreichen. Die gravierenden und folgenschweren Qualifikationsdefizite, mit denen Europa derzeit konfrontiert ist, können nur durch eine Budgetaufstockung, eine optimierte Mittelvergabe und eine stärkere und effektivere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung überwunden werden. Unter Verweis auf die aktuell geringe Anzahl an mobilitätsteilnehmenden jungen Personen (15 %), ist eine Verfünffachung des Erasmus+ Budgets erforderlich, um in der kommenden Förderperiode (2028-2034) alle junge Menschen in der EU zu erreichen.
Auf dem Weg hin zu einer Union der Kompetenzen, im Sinne eines echten Binnenmarkts für Qualifikationen als Langzeitvision, präsentiert der Bericht zwölf kurz- (ST) und mittelfristige (MT) Maßnahmen zur Schließung der Qualifikationslücken. Dazu gehören die evidenzbasierte Gestaltung der Skills-Politik (ST), die Anpassung von Lehrplänen (ST/MT), die Verbesserung und Harmonisierung von Qualifikationsnachweisen (ST/MT) und die Neugestaltung von Qualifizierungsmaßnahmen (ST/MT). Weitere Vorschläge umfassen die Erwachsenenbildung (ST), die Reform der Berufsbildung (VET) (ST/MT), Programme zur Benachteiligtenförderung für begabte Kinder (ST/MT) und die Verbesserungen für Lehrkräfte (MT). Auch die Steigerung der Erwerbstätigkeit (ST/MT) und die Gewinnung von mehr hochqualifizierten Arbeitskräften aus dem außereuropäischen Ausland (ST/MT) werden empfohlen; letzteres z.B. durch einen neuen Fonds zum Erwerb technischer Fertigkeiten, vereinfachte und beschleunigte Visa- und Einwanderungsverfahren, leistungsbezogene EU-Stipendien für Studierende, Graduierte und Promovierende, besonders im MINT-Bereich, sowie Praktika für Studierende und Verträge für Graduierte.
So geht es weiter
Die Kernaussagen des „Draghi-Berichts“ sind in die politischen Leitlinien, die Ursula von der Leyen Mitte Juli präsentiert hatte, eingeflossen und werden voraussichtlich in den kommenden Monaten und Jahren ressortübergreifend eine große Rolle in den EU-Politik spielen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Empfehlungen Draghis, die bereits in die Mission Letters an die designierten Kommissarinnen und Kommissare eingeflossen sind (Link),auch für die Anhörung im Parlament sowie in von der Leyens Rede zur Lage der Nation eine besondere Rolle spielen und in den kommenden Jahren immer wieder aufgegriffen und in Teilen auch umgesetzt werden.